Highly Variable Drugs
Finden sich nach wiederholter Gabe des identen Arzneimittels größere Unterschiede bei der Messung von pharmakokinetischen Parametern, wie etwa der AUC oder der Cmax, liegt der Verdacht nahe, dass es sich bei dem speziellen Produkt bzw. dem Wirkstoff selbst, um ein „highly variable drug“ (HVD), ein Arzneimittel mit hoher Variabilität handeln könnte. Per definitionem ist es dann gerechtfertigt von einem HVD zu sprechen, sobald die intra-individuelle Variabilität (CV) dieser Parameter bei einem Wert größer als 30 Prozent liegt.
Das Problem, dass sich für Antragsteller von HVDs ergibt liegt darin, dass ein hoher CV-Wert eine ungleich höhere Anzahl an Probanden in einer Bioäquivalenzstudie (BE-Studie) verlangt, um mit einer ausreichenden Sicherheit die geforderte Gleichheit zeigen zu können.
In der Literatur finden sich daher in entsprechenden BE-Studien bei HVDs mit herkömmlicher Probandenzahl (ca. zwölf bis 24 Probanden) Versagensquoten von 60 bis 80 Prozent. Während statistisch gesehen z.B. eine BE-studie mit 88 Probanden (das ist wohlgemerkt mehr als das Siebenfache der laut Guideline geforderten Mindestprobandenanzahl) mit nahezu 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit eine Gleichheit bei einem CV-Wert von 15 Prozent zeigt, wird dies bei einem CV-Wert von 30 Prozent nur in 45 Prozent aller Fälle gelingen.
Dieses Dilemma führt mitunter soweit, dass selbst völlig idente HVD-Produkte massive Probleme haben Bioäquivalenz - sogar mit sich selbst – nachweisen zu können. Beschrieben ist dies u.a. in Studien mit den Wirkstoffen Verapamil, Chlorpromazin und Esomeprazol.
Mögliche Ursachen für ein HVD-Verhalten von Wirkstoffen liegen überwiegend in einem ausgeprägten first-pass-Metabolismus bzw. auch in einer besonders niedrigen Bioverfügbarkeit von Wirkstoffen begründet. In selteneren Fällen spielt die Galenik eine Rolle. Um bei diesen Produkten ein ethisch kaum vertretbares Ansteigen der Probandenzahl in unrealistische Höhen zu vermeiden, hat man sich nach EU-weiten, intensiven Diskussionen entschlossen, unter bestimmten Bedingungen für HVDs Erleichterungen zu genehmigen [1].
So kann für ein HVD, abhängig von seinem tatsächlichen CV-Wert eine Weitung der herkömmlichen, erlaubten Konfidenzintervallgrenzen von ursprünglich 0,80 bis 1,25 (bzw. 80 bis 125 Prozent vorgenommen werden. Das Ausmaß der erlaubten Ausweitung ist dabei von der jeweiligen Höhe des CVs abhängig und beginnt dabei ab einem CV-Wert von 30 Prozent und setzt sich rechnerisch bis zu einem Wert von 50 Prozent fort. Bei Werten oberhalb von 50 Prozent gilt als erlaubte Konfidenzintervall-Obergrenze immer 69,84 bis 143,19 Prozent.
Mit der „scaled-average-bioequivalence“ kann für jeden CV-Wert eine dazugehörende Grenze des Konfidenzintervalls (CI) berechnet werden. Dazu bedient man sich der Formel [U, L] = exp [±k•sWR], wobei „U“ die obere und „L“ die untere Akzeptanzgrenze des Konfidenzintervalles darstellen, „k“ die so genannte regulatorische Konstante, die einen Wert von 0,760 hat, sowie „sWR“ den intra-individuellen CV darstellt, d.h. die Standardabweichung der intra-individuellen, log-transformierten pharmakokinetischen Daten aus der Studie.
Die Möglichkeit zum Weiten der Grenzen des Konfidenzintervalls besteht allerdings ausschließlich für die Cmax und ist nicht für die AUC vorgesehen. Voraussetzung ist jedoch immer, dass zweifelsfrei in der BE-Studie nachgewiesen wurde, dass der CV mehr als 30 Prozent beträgt. Als zweifelsfreier CV ist dabei immer nur der Wert des Referenzproduktes heranzuziehen, nicht aber der des Testproduktes bzw. des Generikums. Um den Nachweis des „CV > 30 Prozent“ zweifelsfrei zu erbringen, ist ein herkömmliches, two-way cross-over Studiendesign aber nicht ausreichend. Vielmehr ist dazu ein replicate-Design gefordert, d.h. dass das Referenzprodukt zumindest zweimal verabreicht werden muss. Die Mindestanforderung ist demzufolge ein Semi-replicate Design mit drei Perioden (z.B.: RTR, RRT, TRR), um daraus die intra-individuelle Schwankung des Originators berechnen zu können.
Einschränkend zu den erweiterten Konfidenzintervallen besteht zusätzlich die Forderung, dass der errechnete Mittelwert der Cmax, also das geometric mean ratio (GMR) innerhalb der konventionellen Grenzen von 80 bis 125 Prozent liegen soll. Dieser „double end point - approach“ hilft somit, bei aller gewährter Flexibilität für HVDs, allzu große Ausreißer verlässlich zu vermeiden.
Wird eine Zulassung mit einer Substanz beabsichtigt, die ein HVD sein könnte, ist es für den Antragsteller wichtig, sich bereits im Vorfeld Gedanken zu machen ob man konventionell das erhöhte Risiko des Scheiterns der BE-Studie in Kauf nimmt, die Probandenanzahl entsprechend erhöht, oder alternativ ein Replicate-Design in seiner Studienplanung berücksichtigt. Im Zweifelsfall kann sowohl die nationale Behörde (BASG/AGES Medizinmarktaufsicht) als auch die Europäischen Arzneimittelagentur (European Medicines Agency, EMA) mittels Scientific Advice-Verfahrens zur Unterstützung herangezogen werden.
[1] EMA: CPMP/EWP/QWP/1401/98 Rev. 1, Guideline on the Investigation on Bioequivalence.
Tabelle: Beispiele für maximale Grenzen des Konfidenzintervalls für Cmax, abhängig von Ausmaß des intra-individuellen CV
within-subject CV (%) | Lower Limit | Upper Limit |
---|---|---|
30 | 80.00 | 125.00 |
35 | 77.23 | 129.48 |
40 | 74.62 | 134.02 |
45 | 72.15 | 138.59 |
> 50 | 69.84 | 143.19 |
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