Fluorchinolone: Einschränkungen in der Anwendung

Sicherheitsinformation | Kurzmeldungen | 30.11.2018

Maßnahmen auf EU Ebene

Die europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat die schwerwiegenden, behindernden und potentiell dauerhaften Nebenwirkungen von Chinolon- und Fluorchinolon-Antibiotika, welche oral eingenommen, injiziert oder inhaliert werden, wissenschaftlich erneut bewertet. In dieser Bewertung wurden auch die Ansichten von Patientinnen und Patienten, Vertreterinnen und Vertretern von Gesundheitsberufen und der Wissenschaft berücksichtigt, die bei der öffentlichen Anhörung in der EMA zu Fluorchinolon- und Chinolon-Antibiotika im Juni 2018 präsentiert wurden.

Der Ausschuss für Humanarzneimittel (Committee for Medicinal Products for Human Use - CHMP) hat den Empfehlungen des Pharmakovigilanz Komitees (Pharmacovigilance Risk Assessment Committees - PRAC) zugestimmt und ist zu dem Schluss gekommen, dass die Zulassung von Arzneimitteln, die Cinoxacin, Flumequin, Nalidixinsäure und Pipemidinsäure enthalten, ruhend gestellt werden soll.

Zudem wurde beschlossen, dass die Anwendung der verbleibenden Fluorchinolon-Antibiotika eingeschränkt werden soll. Ergänzend dazu werden in Fach-und Gebrauchsinformationen die, die Lebensqualität beeinträchtigenden und möglicherweise dauerhaften, Nebenwirkungen dargestellt. Patientinnen und Patienten wird geraten, die Behandlung mit einem Fluorchinolon-Antibiotikum beim ersten Anzeichen von Nebenwirkungen, die die Muskeln, Sehnen oder Gelenke, beziehungsweise das Nervensystem betreffen, zu beenden.


Die Einschränkungen bei der Verwendung von Fluorchinolon-Antibiotika bedeuten, dass sie nicht angewendet werden sollen:

  • Um Infektionen zu therapieren, die auch ohne Behandlung abklingen oder nicht schwerwiegend sind (z.B. Halsentzündungen)
  • Zur Behandlung nicht bakteriell verursachter Infektionen, wie z.B. nicht-bakterielle (chronische) Prostatitis
  • Zur Vorbeugung von Reisediarrhö oder wiederkehrenden Infektionen der unteren Harnwege (Harninfektionen, die nicht über die Harnblase hinausgehen)
  • Zur Behandlung leichter oder mittelschwerer bakterieller Infektionen, es sei denn, andere üblicherweise für diese Infektionen empfohlene Antibiotika können nicht angewendet werden.

Es ist wichtig, dass Fluorchinolone generell bei Patientinnen und Patienten, die zuvor schwerwiegende Nebenwirkungen mit einem Fluorchinolon- oder Chinolon-Antibiotikum hatten, vermieden werden sollen. Sie sollen bei älteren Patientinnen und Patienten, bei Patientinnen und Patienten mit Nierenerkrankungen und Patientinnen und Patienten, die eine Organtransplantation hatten, mit besonderer Vorsicht angewendet werden, da bei diesen Patientinnen und Patienten ein höheres Risiko für Sehnenschäden besteht. Da die Anwendung eines Kortikosteroids mit einem Fluorchinolon dieses Risiko ebenfalls erhöht, sollte die kombinierte Anwendung dieser beiden Arzneimittel vermieden werden.

Die Stellungnahme des CHMP wird nun an die Europäische Kommission weitergeleitet, die einen für alle Mitgliedsländer rechtsverbindlichen Beschluss fassen wird. Die nationalen Behörden werden diese Entscheidung für die in ihren Ländern zugelassenen Fluorchinolon- und Chinolon-Arzneimittel umsetzen und weitere geeignete Maßnahmen ergreifen, um die korrekte Anwendung dieser Antibiotika sicherzustellen.

Situation in Österreich

In Österreich sind Arzneispezialitäten mit folgenden Wirkstoffen zugelassen:

  • Ciprofloxacin,                
  • Levofloxacin,                
  • Moxifloxacin,                
  • Norfloxacin,                
  • Ofloxacin,                
  • Prulifloxacin            

Dem BASG liegen seit 01.01.2006 322 Meldung zu systemischen Fluorchinolonen in Österreich vor.

Empfehlungen des BASG

Empfehlungen für Verschreiberinnen und Verschreiber, Anwenderinnen und Anwender:
 

  • Fluorchinolone stehen in Verbindung mit länger (über Monate oder Jahre) anhaltenden, schweren, die Lebensqualität beeinträchtigenden und möglicherweise irreversiblen Nebenwirkungen, die verschiedene, manchmal mehrere Systeme, Organklassen und Sinne betreffen.
  • Zu den schwerwiegenden Nebenwirkungen gehören Sehnenentzündungen, Sehnenrupturen, Arthralgien, Schmerzen in den Extremitäten, Gangstörungen, Neuropathien in Verbindung mit Parästhesien, Depressionen, Müdigkeit, Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen, Beeinträchtigung des Gehörs, Sehstörungen sowie eine Beeinträchtigung des Geschmacks- und Geruchssinns.
  • Sehnenschäden (insbesondere Schäden an der Achillessehne, aber auch an anderen Sehnen) können innerhalb von 48 Stunden nach Beginn der Fluorchinolon-Therapie auftreten. Die Schäden können jedoch auch einige Monate nach Beendigung der Behandlung verzögert auftreten.
  • Für ältere Patientinnen und Patienten, Patientinnen und Patienten, die Nierenschäden haben oder eine Organtransplantation hatten, oder Patientinnen und Patienten, die mit einem Kortikosteroid behandelt werden, besteht ein höheres Risiko für das Auftreten von Sehnenschäden. Eine gleichzeitige Therapie mit einem Fluorchinolon und einem Kortikosteroid soll vermieden werden.
  • Die Behandlung mit Fluorchinolonen soll bei den ersten Anzeichen von Sehnenschmerzen oder Sehnenentzündungen abgebrochen werden. Die Patientinnen und Patienten sollen in diesem Fall angewiesen werden, die Behandlung abzubrechen und Kontakt mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt aufzunehmen. Dies gilt auch, wenn Symptome einer Neuropathie wie Schmerzen, Brennen, Kribbeln, Taubheit oder Kraftlosigkeit auftreten, um die Entwicklung eines möglicherweise irreversiblen Zustands zu verhindern.
  • Fluorchinolone sollen grundsätzlich nicht bei Patientinnen und Patienten angewendet werden, bei denen schwerwiegende Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Anwendung von Chinolonen oder Fluorchinolonen aufgetreten sind.
  • Wenn Sie eine Behandlung mit einem Fluorchinolon für eine Patientin oder einen Patienten in Betracht ziehen, sollten Sie zur Information über die zugelassenen Indikationen die jeweils aktuellen Produktinformationen heranziehen, da die Anwendungsgebiete für diese Arzneimittelgruppe eingeschränkt wurden.
  • Nutzen und Risiken von Fluorchinolonen werden fortlaufend überprüft. In einer Studie zur Anwendung dieser Arzneimittel wird die Effektivität der neuen Maßnahmen zur Reduzierung des unangemessenen Einsatzes von Fluorchinolonen durch die Untersuchung des Verschreibungsverhaltens weiter untersucht.

Empfehlungen für Patientinnen und Patienten:
 

  • Fluorchinolon-Arzneimittel (die Wirkstoffe wie z.B. Ciprofloxacin, Levofloxacin, Lomefloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin, Ofloxacin, Pefloxacin, Prulifloxacin und Rufloxacin enthalten) können zu langanhaltenden, die Lebensqualität beeinträchtigenden und möglicherweise dauerhaften Nebenwirkungen, insbesondere an Sehnen, Muskeln, Gelenken und am Nervensystem, führen.
  • Zu diesen schwerwiegenden Nebenwirkungen zählen Entzündungen oder Risse der Sehnen, Muskelschmerzen oder -schwäche, Gelenkschmerzen oder -schwellungen, Gehschwierigkeiten, Gefühle von Nadelstichen oder Kribbeln, brennende Schmerzen, Müdigkeit, Depressionen, Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen, Sehstörungen und Gehörschäden sowie ein veränderter Geschmacks- oder Geruchssinn.
  • Schwellungen und Verletzungen der Sehnen können innerhalb von zwei Tagen nach Beginn der Behandlung mit einem Fluorchinolon auftreten, können aber auch erst mehrere Monate nach Beendigung der Behandlung auftreten.
  • Beenden Sie die Einnahme des Fluorchinolons und wenden Sie sich in den folgenden Fällen sofort an Ihre Ärztin oder Ihren Arzt:
    • bei den ersten Anzeichen einer Sehnenverletzung, wie Sehnenschmerzen oder Sehnenschwellungen – stellen die den betroffenen Bereich ruhig;
    • wenn Sie Schmerzen, Nadelstiche, Kribbeln, Kitzeln, Taubheit oder Brennen oder Kraftlosigkeit, insbesondere in den Beinen oder Armen, spüren;
    • wenn Sie Schwellungen in den Schultern, Armen oder Beinen haben, Schwierigkeiten beim Gehen haben, sich müde oder depressiv fühlen, Gedächtnisstörungen oder Schlafstörungen haben oder wenn Sie Veränderungen in Bezug auf Ihr Sehvermögen, Ihren Geschmacks-, Geruchs- oder Gehörsinn feststellen. Ihre Ärztin oder Ihr Arzt wird gemeinsam mit Ihnen entscheiden, ob Sie die Behandlung fortsetzen können oder ob Sie ein anderes Antibiotikum benötigen.
       
  • Möglicherweise können Sie anfälliger für Gelenkschmerzen oder Gelenksschwellungen oder Sehnenschäden sein, wenn Sie über 60 Jahre alt sind, Ihre Nierenfunktion eingeschränkt ist oder Sie eine Organtransplantation hatten.
     
  • Sprechen Sie mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt, wenn Sie ein Kortikosteroid (entzündungshemmendes Arzneimittel wie Hydrocortison und Prednisolon) einnehmen oder eine Behandlung mit einem Kortikosteroid benötigen. Sie könnten besonders anfällig für Sehnenschäden sein, wenn Sie gleichzeitig ein Kortikosteroid und ein Fluorchinolon-Arzneimittel einnehmen. Nehmen Sie kein Fluorchinolon ein, wenn Sie schon einmal schwerwiegende Nebenwirkungen mit einem Fluorchinolon oder Chinolon hatten und sprechen Sie sofort mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt darüber.
     
  • Wenn Sie Fragen oder Bedenken bezüglich Ihrer Arzneimittel haben, wenden Sie sich an Ihre Ärztin, Ihren Arzt oder Ihre Apothekerin oder Ihren Apotheker.


Weitere Informationen

Fluorchinolone und Chinolone sind eine Klasse von Breitbandantibiotika, die sowohl gegen verschiedene gram-negative als auch gram-positive Bakterien wirksam sind. Fluorchinolone sind eine wichtige Therapieoption gegen verschiedene Infektionserkrankungen, darunter auch lebensbedrohliche, bei denen alternative Antibiotika nicht ausreichend wirksam sind.

Die Reevaluierung umfasste folgende Wirkstoffe aus der Gruppe der Fluorchinolone und Chinolone: Cinoxacin, Ciprofloxacin, Flumequin, Levofloxacin, Lomefloxacin, Moxifloxacin, Nalidixinsäure, Norfloxacin, Ofloxacin, Pefloxacin, Pipemidinsäure, Prulifloxacin und Rufloxacin.

Sie betraf nur Arzneimittel, die systemisch (oral oder per Injektion) verabreicht werden, und Arzneimittel zur Inhalation.

Mehr über das Verfahren:

Die Reevaluierung der Fluorchinolone und Chinolone wurde am 9. Februar 2017 auf Ersuchen des deutschen Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Rahmen eines Verfahrens gemäß Artikel 31 der Richtlinie 2001/83/EG eingeleitet.

Die Bewertung wurde zunächst vom PRAC durchgeführt, welches für die Bewertung von Sicherheitsfragen bei Humanarzneimitteln zuständig ist.

Die finalen Empfehlungen des PRAC wurden am 4. Oktober 2018 angenommen und anschließend an das CHMP weitergeleitet, welches für Fragen im Zusammenhang mit Humanarzneimitteln zuständig ist. Das CHMP gab die Stellungnahme für die EMA ab.

Die Stellungnahme des CHMP wird nun an die Europäische Kommission weitergeleitet, die eine für alle EU-Mitgliedsstaaten finale rechtsverbindliche Entscheidung ausstellen wird.

Weiterführende  Links:

Presseaussendung der Europäischen Arzneimittelagentur (16.11.2018)
https://www.ema.europa.eu/medicines/human/referrals/quinolone-fluoroquinolone-containing-medicinal-products

Hintergrund:

Ankündigung der öffentlichen Anhörung (BASG, 20.04.2018)
https://www.basg.gv.at/news-center/news/news-detail/article/fluorchinolone-oeffentliche-anhoerung-am-13062018-1236/

Zusammenfassung der öffentlichen Anhörung (BASG, 13.06.2018)
https://www.basg.gv.at/news-center/news/news-detail/article/fluorchinolone-zusammenfassung-der-oeffentlichen-anhoerung-vom-13062018-1248/


Rückfragen (fachlich):

Dr. Christoph Baumgärtel, Tel.: 050555/36004
E-Mail: christoph.baumgaertel@ages.at


Rückfragen (für Medien):

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