Abgrenzung von lebenden Tieren als Arzneimittel

Kurzmeldungen | 30.08.2012

Aus gegebenem Anlass, aufgrund von an das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen herangetragenen Fragen in Bezug auf die Abgrenzung von lebenden Tieren als Arzneimittel, wird gemäß § 1 Abs. 3b Arzneimittelgesetz, BGBl. Nr. 185/1983, in der geltenden Fassung, folgende Abgrenzung amtswegig getroffen.

 

Grundsätzliches zur Arzneimitteldefinition

Nach der Richtlinie 2004/27/EG sind alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen Arzneimittel, entweder sofern sie als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind (Definition „nach der Präsentation“) oder die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen (Definition „nach der Funktion“).

 

Hinzu kommt, wie auch der EuGH in ständiger Judikatur ausgeführt hat, dass ein Erzeugnis nach dem Gemeinschaftsrecht somit ein Arzneimittel ist, wenn es unter eine dieser beiden Definitionen fällt, also entweder nach der Präsentation oder nach der Funktion.

 

Dass auch lebende Tiere grundsätzlich dem Arzneimittelgesetz unterliegen können, da diese die Stoffdefinition des § 1 Abs. 4 Z 3 Arzneimittelgesetz erfüllen, sofern die Voraussetzungen der Einstufung gegeben sind, nämlich nach der Funktion oder Präsentation, ist auch dem § 7 Abs. 6d Arzneimittelgesetz zu entnehmen, der eine Ausnahme von der Zulassungspflicht für lebende Tiere vorsieht.


In der „Praxis“ verwendete Tiere

Nach Kennnissen des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen und wie den Erläuterungen zu § 7 Abs. 6d Arzneimittelgesetz zu entnehmen ist, finden in der „Praxis“ zumindest drei „Tiere“ Verwendung. Dabei handelt es sich um Fliegenmaden, Blutegel und so genannte Knabberfische.

 

Einstufung von „Knabberfischen“ – Fische als Arzneimittel

Fische der Gattung Garra rufa (rote Saugbarbe) werden äußerlich bei Hauterkrankungen wie Psoriasis vulgaris oder atopische Dermatitis zur Ichthyo-Therapie eingesetzt. Aufgrund des Vorkommens einer Population in der türkischen Region Kangal werden sie auch Kangalfische genannt. Die Fische knabbern dabei die Hautschuppen ab und fressen sie („Knabberfische“).

 

Um die Einstufung der Knabberfische als Arzneimittel vorzunehmen, muss einerseits nach der Funktion und andererseits nach der Präsentation geprüft werden.


Beurteilung nach der Funktion

Funktionsarzneimittel werden definiert als alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine  pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen.
Nach der dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen vorliegenden Aktenlage ist bei der Anwendung von Kangalfischen lediglich ein mechanischer Effekt durch das Abknabbern von Hautschuppen zu erwarten. Eine Absonderung von arzneilich wirksamen Sekreten ist bisher nicht erwiesen.

Aufgrund der fehlenden pharmakologischen, metabolischen oder immunologischen Wirkung werden diese daher derzeit nicht als Funktionsarzneimittel eingestuft.

 

Beurteilung nach der Präsentation

Präsentationsarzneimittel sind definiert als Mittel, die zur Heilung oder Vorbeugung von Krankheiten  bestimmt sind. Sofern Knabberfische als Heilmittel zur Anwendung bei Patienten mit Hauterkrankungen ausgelobt werden, können Sie als Präsentationsarzneimittel eingestuft werden.

 

Blutegel und Fliegenlarven werden bislang als Arzneimittel eingestuft
Blutegel werden zum Aderlass sowie in der plastischen Chirurgie eingesetzt und haben auch in Studien zur Anwendung bei Osteoarthritis zu einer symptomatischen Besserung geführt.


Das Wangensekret des Blutegels enthält das Antikoagulans Hirudin sowie antiinflammatorische Substanzen. Hirudin ist ein direkter Thrombininhibitor, der auch in österreichischen Arzneispezialitäten zur lokalen Anwendung bei oberflächlichen Phlebitiden, entzündlichen Infiltraten, Hämatomen u.ä. enthalten ist. Aufgrund des Gehalts an pharmakologisch wirksamen Substanzen im Wangensekret, die in den Körper des Menschen gelangen, ist die Arzneimitteleigenschaft gegeben.

 

Maden werden zur Wundheilung bei chronischen Wunden eingesetzt. Maden setzen bei der Anwendung ebenfalls Substanzen frei. Diese wirken proteolytisch und antibakteriell. Möglicherweise wird durch sie auch die Wundheilung stimuliert.

 

Aufgrund der Freisetzung dieser pharmakologisch wirksamen Substanzen ist eine Arzneimitteleigenschaft gegeben.


Warum lebende Tiere keine Medizinprodukte sein können

Im Zusammenhang mit der Einstufung von lebenden Tieren stellt sich immer wieder die Frage, ob diese aufgrund ihrer Zweckbestimmung nicht auch als Medizinprodukte angesehen werden können.

 

Dies ist rechtliche klar in § 4 Abs. 1 Z 5 Medizinproduktegesetz geregelt. Diese Bestimmung besagt, dass das Medizinproduktegesetz nicht für Transplantate, Gewebe oder Zellen tierischen Ursprungs gilt, es sei denn, ein Medizinprodukt wird unter Verwendung von abgetötetem tierischen Gewebe oder von abgetöteten Erzeugnissen hergestellt, die aus tierischem Gewebe gewonnen wurden, oder es handelt sich um In-vitro-Diagnostika.

 

Da es sich bei lebenden Tieren wohl unzweifelhaft nicht um abgetötetes tierisches Gewebe handelt, können diese nicht unter das Medizinproduktegesetz subsumiert werden und somit sind lebende Tiere nicht als Medizinprodukte anzusehen.

 

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass lebende Tiere, sofern diese als Funktionsarzneimittel eingestuft werden können, als Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes angesehen werden. Darunter fallen, wie ausgeführt, insbesondere Blutegel und Fliegenlarven. Diesbezüglich bestehen jedoch Unterschiede zu den Knabberfischen, da diese nicht als Funktionsarzneimittel abgegrenzt werden können.

 

Denkbar wäre nur, diese aufgrund ihrer Zweckbestimmung, sofern sie zur Anwendung bei Hauterkrankungen ausgelobt werden, als Präsentationsarzneimittel einzustufen. Eine entsprechende Änderung der Auslobung wäre gegebenenfalls vorzunehmen, damit die Voraussetzungen des Präsentationsarzneimittels nicht mehr gegeben sind.


Diese Stellungnahme dient der grundsätzlichen Betrachtung der Abgrenzung von lebenden Tieren als Arzneimittel. Eine konkrete Einstufung kann jedoch nur im Einzelfall durch das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen erfolgen.

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